Dieser Artikel, verfasst von der TDC-Autorin Alina Horbenko, wurde ursprünglich von der Zeitschrift Diplomaatia und dem International Centre for Defence and Security veröffentlicht.
Die Krimtataren sind ein osteuropäisches Turkvolk, das zusammen mit Karäern und Krimtschaken die indigene Bevölkerung der Krim sowie eines der indigenen Völker der Ukraine bildet. Krimtataren gehören zu denen, die die „russische Welt“ seit der Besetzung der Halbinsel durch russische Truppen im Jahr 2014 in vollem Umfang erfahren haben. Was wurde der Krim und ihren Bewohnern damals angetan, und was passiert dort jetzt?
Annexionen, Anerkennungen und Deportationen
Russland hat die Krimtataren zu verschiedenen Zeiten bedrängt. Im Jahr 1771, während des Russisch-Türkischen Krieges, marschierte die russische Armee in das Khanat der Krim ein, und die Tataren mussten einen sogenannten Bündnisvertrag abschließen. Russland erklärte das Krim-Khanat einseitig zu einer unabhängigen staatlichen Einheit. Dem Historiker Bohdan Korolenko zufolge wurden die Tataren zuvor „zum Frieden gezwungen“, und es kam auch zu Hinrichtungen.
Dann, im Jahr 1783, wurde die Halbinsel vom Russischen Keiserreich annektiert, was übrigens der heutigen „Anerkennung“ der russischen Marionettenstaaten in der Ostukraine sehr ähnlich war. Die Mehrheit der Krimtataren (etwa 300.000 Menschen) verließ ihre Heimat und ließ sich innerhalb der Grenzen des Osmanischen Reiches nieder. Die russische Regierung führte Vergünstigungen für Einwanderer aus dem Norden ein und versuchte, die Halbinsel zu kolonisieren und zu „russifizieren“. Dennoch stellten die Krimtataren im Jahr 1897 immer noch die Mehrheit der Bevölkerung (36 %), wobei die Russen die zweitgrößte Nation waren (33 %).
Im Jahr 1944 kam es zu einer massiven Deportation. Die Truppen des Volkskommissariats für Innere Angelegenheiten der UdSSR beschuldigten die Einheimischen der Halbinsel des Hochverrats, der Kollaboration und der Desertion (obwohl die Kollektivstrafen nach Artikel 50 der damals gültigen Haager Landkriegsordnung von 1907 verboten waren). Infolgedessen wurde die demografische Struktur der Halbinsel drastisch verändert, wodurch die Bevölkerungszahl der Krimtataren nach der sowjetischen Volkszählung von 1959 auf null Prozent sank. Im Gegensatz zu einigen anderen deportierten Völkern, die Ende der 1950er Jahre in ihre Heimat zurückkehrten, wurde den Krimtataren dieses Recht formell bis 1974, tatsächlich aber bis 1989 verwehrt. Die Massenrückkehr auf die Krim begann erst 1989.
Seit der Unabhängigkeit hat die Ukraine ständig zur Entwicklung der Krim beigetragen. Nach Angaben des ehemaligen Ministers für Resorts und Tourismus der Krim Oleksandr Lijew investierten die ukrainischen Behörden im Jahr 2013 32,6 Mio. USD (gegenüber 5,4 Mio. USD, die Russland im Jahr 2014 bereitgestellt hat).
Feindliche Elemente
Seit 2014 ist die Krim ein Ort ständiger Einschüchterungen und Belästigungen, Durchsuchungen, Verhaftungen, politisch motivierter Urteile und des Verschwindenlassens ohne faires und öffentliches Verfahren. Krimtataren werden von den Russen als „unzuverlässige Elemente“ angesehen, die mundtot gemacht oder entfernt werden sollten.
Seit 2014 ist die Krim ein Ort der demografischen Katastrophe und der erzwungenen Passportisierung. Um die Bevölkerung zu assimilieren, hat Russland das russische Militär, Spezialeinheiten und „loyale“ russische Propagandisten auf die Krim „importiert“. Gleichzeitig wurden „illoyale“ Bürger zur Flucht gezwungen.
Laut Mustafa Dschemiljew, einem der Führer der krimtatarischen Nationalbewegung, zogen ab 2021 600.000 bis 1,5 Mio. Russen auf die Krim, während 30.000 Krimtataren gezwungen wurden, die Halbinsel zu verlassen. Eine solche Politik der russischen Kolonisierung und der Ausgrenzung „feindlicher Elemente“ wurde im Interesse Russlands während des sogenannten Referendums auf der Krim im Jahr 2014 eingesetzt. Die russische Mehrheit wurde aufgerufen, der internationalen Gemeinschaft zu beweisen, dass die Halbinsel „ureigenes russisches Land“ ist.
Nun kann eine Person ohne russische Staatsbürgerschaft keinen Job bekommen, keine medizinischen Leistungen in Anspruch nehmen, kein Bankkonto eröffnen und keine Kreditkarte kaufen, kein Haus verkaufen und kein Nummernschild bekommen. Selbst tatsächliches Leben auf der Krim ist für nicht-russische Staatsbürger problematisch, da sie ohne ausländische Aufenthaltserlaubnis als Vertriebene gelten und deportiert werden können.

Verfolgung aus religiösen Gründen
Seit 2014 ist die Krim ein Ort ohne Meinungs- und Glaubensfreiheit. Muslimische Gemeinden, die Orthodoxe Kirche der Ukraine und Jehovas Zeugen stehen unter ständigem Druck der Russisch-Orthodoxen Kirche. Nach offiziellen Angaben waren vor der Besetzung mindestens 2.220 religiöse Organisationen auf der Krim, die mindestens 43 Konfessionen repräsentierten, während es Ende 2020 nur 907 religiöse Organisationen gab, die etwa 20 Konfessionen vertraten.
Laut Celal İçten, dem Vorsitzenden der Istanbuler Krim-Vereinigung, „werden die Krimtataren derzeit auf der Krim verfolgt und können nicht richtig beten. Selbst wenn in den Häusern der Krimtataren eine Broschüre mit den grundlegendsten religiösen Informationen gefunden wird, können sie unter dem Vorwurf des Terrorismus verhaftet werden.“
Darüber hinaus werden krimtatarische politische Gefangene in Untersuchungshaftanstalten aus religiösen Gründen verfolgt, d.h. sie werden mit nicht-muslimischen Zellengenossen zusammengebracht, die Druck auf sie ausüben. Außerdem, so Oleksij Tilnenko, Vorstandsvorsitzender der NGO CrimeaSOS, „sind diejenigen, die mehr oder weniger an ihren religiösen Überzeugungen festhalten, […] sehr oft unterernährt… denn dementsprechend können sie die ihnen angebotene Nahrung aufgrund ihrer religiösen Überzeugungen nicht zu sich nehmen.“
Medienfreiheit
Laut Freedom House wurde die Zahl der Medien auf der Krim im Rahmen eines von Roskomnadsor überwachten Neuregistrierungsverfahrens 2015 um mehr als 90 % reduziert, und die russischen Behörden haben den Zugang zum ukrainischen Fernsehen und zu anderen Medien eingeschränkt. Dies führte zu einer erheblichen Einschränkung der Meinungsfreiheit auf der Halbinsel.
Darüber hinaus hat Russland auch den Betrieb des krimtatarischen Fernsehsenders ATR eingestellt. Aufgrund der Position der Redation und der Journalisten des Senders, die darauf abzielte, die Ereignisse in den besetzten Gebieten, einschließlich der Menschenrechtsverletzungen, unparteiisch zu beleuchten, drohten die russischen Behörden wiederholt mit der Schließung des Senders. Im Januar 2015 wurde der Server des Senders beschlagnahmt, was die Ausstrahlung unmöglich machte. Seit dem 17. Juni 2015 sendet ATR aus Kyjiw.
Neben der Manipulation des Medienraums setzt Russland auch andere Methoden der Propaganda ein. Jetzt hat die Besatzungsverwaltung auf der Krim ein Dekret erlassen, der den Schulunterricht über „Helden der Spezialoperation“, „Freunde und Feinde der Russischen Föderation“ und „Vorteile des Vertragsdienstes in Russland“ vorsieht. Auf der Krim wurden Studenten und Angestellte des öffentlichen Dienstes gezwungen, an einer Kundgebung für den Krieg und die Mobilisierung teilzunehmen, Lehrer wurden gezwungen, Erklärungen über die Einbehaltung eines Teils ihrer Gehälter zur Unterstützung des Krieges zu schreiben usw.
Suche nach inneren Feinden
Seit 2014 existiert die Krim in der Atmosphäre der Suche nach „inneren Feinden“. Eine solche Strategie wurde von Russland zu Zeiten der UdSSR eingesetzt, um die Aufmerksamkeit der Bevölkerung von den wirtschaftlichen und sozialen Problemen abzulenken. Das Freiwilligenbataillon von Noman Çelebicihan, die Hizb ut-Tahrir (eine internationale islamische politische Partei, die in Russland als terroristische Organisation anerkannt wurde, in vielen anderen Ländern aber legal tätig ist) und Jehovas Zeugen wurden auf die schwarze Liste gesetzt und ihre Mitglieder werden des Extremismus beschuldigt, ebenso wie Mitglieder des Medschlis, des krimtatarischen Parlaments.
Russland nutzt seine Anti-Terror-Gesetze weitgehend nur mit dem Ziel, seine barbarischen Aktionen gegen bestimmte Gemeinschaften zu rechtfertigen. Bemerkenswert ist, dass das 2016 gegründete Freiwilligenbataillon von Noman Çelebicihan erst im Juni 2022, nach Beginn des großangelegten Krieges, in Russland als terroristische Organisation anerkannt wurde. Es bedarf nur weniger Beweise, um beschuldigt zu werden; es reicht aus, ein Krimtatar zu sein, der sich illoyal verhält. Diese Anti-Terror-Gesetze ermutigen die russischen Sicherheitskräfte, eine Person ohne rechtliche Grundlage festzunehmen, nur wegen des bloßen Verdachts der Beteiligung am „Terrorismus“.
Enttatarisierung und Russifizierung
Seit 2014 ist die Krim ein Ort kontinuierlicher erzwungener Enttatarisierung und Russifizierung. Global gesehen begann dieser Prozess im Jahr 1783, als Russland das Krim-Khanat annektierte. Die Russen begannen, neue Städte nach russischen und nicht nach krimtatarischen Namen zu benennen oder umzubenennen. So wurde zum Beispiel 1784 das Dorf Kurman-Kemeltschi von den russischen Truppen zerstört und niedergebrannt, und an dieser Stelle wurde ein anderes Dorf, Krasnohwardijske, gegründet. Dies führte zur Auslöschung des historischen Krim-Toponyms, zur physischen Zerstörung des ehemaligen Dorfes und zur Vernichtung seiner Bewohner. Während der Sowjetzeit wurden viele weitere historische Toponyme ausgelöscht. Nur wenige Städte haben ihre krimtatarische Bedeutung ausnahmsweise nicht verloren, zum Beispiel Bachtschysaraj, Dschankoj, Inkerman und Kertsch.
Im Jahr 2014 wurden Enttatarisierung und Russifizierung auf eine neue Ebene gehoben. Nach Angaben des Leiters des Krimtatarischen Ressourcenzentrums Eskender Barijew gab es vor der Besetzung 16 Schulen und 384 Klassen mit der krimtatarischen Unterrichtssprache auf der Krim. Dann, im Jahr 2021, gab es nur noch 119 solcher Klassen. Es gibt ein Verbot, die krimtatarische Sprache in staatlichen Institutionen zu sprechen: Während der Gerichtsverhandlungen wurden Krimtataren ständig aus dem Gerichtssaal verwiesen, da ihre Sprache mit „Verletzung von Vorschriften“ gleichzusetzen wurde. Damit wird ihnen ein grundlegendes Recht auf Teilnahme an einer Gerichtsverhandlung generell verweigert.
Die Krimtataren setzen sich auch gegen Verbote und Verfolgung zum Gedenken an den Jahrestag der Deportation vom 18. Mai 1944. An diesem Tag finden in der gesamten Ukraine zahlreiche Veranstaltungen wie Kundgebungen, thematischer Unterricht in Schulen und öffentliche Präsentationen statt. Auf der Krim fanden bei dieser Anlass früher jährlich Massenveranstaltungen statt, insbesondere eine Trauerkundgebung im Zentrum von Simferopol. Aber nach der Besetzung im Jahr 2014 wurden solche Manifestationen eingeschränkt, und jetzt müssen alle damit verbundenen Aktionen streng mit der pro-russischen Marionettenregierung abgestimmt werden.
Russland versucht, die Identität der Krimtataren auf jede erdenkliche Weise zu zerstören, auch wenn es um kulturelle Gebäude geht. Der Khanpalast von Bachtschissarai, ein einzigartiges Beispiel krimtatarischer Architektur, wird aufgrund der barbarischen „Restaurierungsarbeiten“ der Russen fast zerstört. Im Dezember 2022 rief der ukrainische Minister für Kultur und Informationspolitik Oleksandr Tkatschenko die UNESCO auf, sich mit der Zerstörung des Palastes zu befassen, da die Strategie der Russen nach seinen Angaben darin besteht, die historische Erinnerung zu zerstören.

Nach dem Beginn der Invasion 2022
Die Situation eskaliert. Neue Verhaftungen. Neue Vermissten. Neue politisch motivierte Urteile. Seit 2022 besteht die gesamte russische Politik in der aggressiven Propaganda Russlands gegen die Ukraine, die die ukrainische Armee diskreditiert und ein „Feindbild“ schafft.
Laut Olha Skrypnyk, Vorstandsvorsitzende der Menschenrechtsgruppe Krim, waren bis Ende 2022 mindestens 149 ukrainische Staatsbürger aufgrund politisch motivierter Verfolgung inhaftiert. Zudem wurden im Jahr 2022 mindestens 15 politische Gefangene auf der Krim in russische Gefängnisse überführt.
Im April 2022 trat Artikel 20.3.3 des Strafgesetzbuches der Russischen Föderation über die „Diskreditierung der russischen Armee“ in Kraft, der es den Behörden ermöglicht, Personen wegen bloßer „beleidigender Äußerungen“ gegenüber der russischen Armee strafrechtlich zu verfolgen. Im März 2023 wurden auf der Halbinsel mindestens 284 Verfahren nach diesem Artikel eingeleitet.
Laut dem Bericht von CrimeaSOS vom September wurden 76 Gerichtsentscheidungen in Fällen der angeblichen Diskreditierung der russischen Streitkräfte getroffen. Zu den Gründen für die Verhaftungen gehörten Veröffentlichungen im Internet, Proteste, Meinungsäußerungen privat oder öffentlich, Anti-Z-Aktivismus und Auto-Proteste.
Verschwindenlassen
Obwohl es schwierig ist, die genaue Zahl der vermissten Personen zu ermitteln, wurden laut CrimeaSOS allein in den Jahren 2014-2020 44 Fälle von Verschwindenlassen registriert. Derzeit heißt es, dass etwa 90 % der Opfer von Verschwindenlassen ohne Anklage festgehalten werden. Es wurde auch über die Folter von Zeugen, die schlechte Behandlung politischer Gefangener und die Verletzung ihrer Rechte (unangemessene Haftbedingungen und unzureichende medizinische Versorgung, psychischer Druck während der Zeugenaussagen usw.) bekannt.

Iryna Danylowytsch, eine Krankenschwester und Zivilaktivistin aus Feodosia (Krim), wurde am 29. April 2022 vom russischen Sicherheitsdienst (FSB) festgenommen. Danylowytsch behauptete, dass sie seither acht Tage lang (bis 7. Mai) ohne jeglichen Rechtsbeistand im Keller des FSB-Hauptquartiers in Simferopol festgehalten wurde. Nach Angaben des Menschenrechtszentrums ZMINA wurde sie später in eine Untersuchungshaftanstalt in Simferopol überführt, wo sie des illegalen Umgangs mit Sprengstoffen gemäß Artikel 222.1, Teil 1 des russischen Strafgesetzbuches angeklagt wurde.
Nach diesem Artikel drohen ihr bis zu 8 Jahre Gefängnis. Zusätzlich zum phyсhologischen Druck führten unangemessene Haftbedingungen zu einer schweren Verschlechterung ihres Gesundheitszustands. Iryna litt mehrere Monate lang unter starken Kopfschmerzen und einer akuten Entzündung des Mittel- und Innenohrs, die ohne Behandlung zu einer Entzündung des Gehirns und zum Tod führen kann. Unter solchen Umständen kann der fehlende Zugang zu medizinischer Versorgung als unmenschliche Behandlung und Folter angesehen werden.
Am 21. März 2023 kündigte Iryna Danylowytsch einen trockenen Hungerstreik an, um auf die mangelnde adäquate Behandlung in der Untersuchungshaftanstalt aufmerksam zu machen: Sie erklärte, dass sie den Streik bis „zum Beginn der Behandlung oder bis zu ihrem biologischen Tod“ fortsetzen werde. Das Außenministerium der Ukraine forderte ihre sofortige Einweisung ins Krankenhaus und machte auch auf frühere Fälle von Kostjantyn Schyring und Dschemil Hafarow, politischen Gefangenen von der Krim, aufmerksam, die während ihrer Haft aufgrund mangelnder medizinischer Behandlung starben. Iryna ist nun eine von vierzehn ukrainischen Journalisten, die auf der besetzten Krim inhaftiert sind.
Mobilmachung und Nationalisierung im russischen Arsenal
Seit 2014 werden Jugendliche auf der Krim zum Militärdienst in der russischen Armee gezwungen und mit Geldstrafen belegt, falls sie den Wehrdienst verweigern oder sich ihm entziehen. Dies ist ein Verstoß gegen das IV. Genfer Abkommen, da nach Artikel 51 „die Besetzungsmacht geschützte Personen nicht zwingen kann, in ihren bewaffneten Kräften oder Hilfskräften Dienst zu leisten“. Indem Russland die Bürger der Ukraine zwingt, an Feindseligkeiten gegen ihren eigenen Staat teilzunehmen, verstößt es gegen das Abkommen (IV) betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs (Haager Landkriegsordnung) und ihrer Anlage, Ordnung der Gesetze und Gebräuche des Landkriegs, Artikel 23 (h): „Den Kriegführenden ist ebenfalls untersagt, Angehörige der Gegenpartei zur Teilnahme an den Kriegsunternehmungen gegen ihr Land zu zwingen; dies gilt auch für den Fall, daß sie vor Ausbruch des Krieges angeworben waren.“
Seit Beginn der großangelegten Invasion steht sowohl offizielle als auch verdeckte Mobilmachung auf der Tagesordnung. Nach Angaben von CrimeaSOS haben die Besatzungsgerichte auf der Krim bis Ende 2022 etwa 130 Strafverfahren wegen Wehrdienstverweigerung eingeleitet.
Die Besatzungsbehörden in Sewastopol planen, den Teilnehmern des Krieges gegen die Ukraine bis zu tausend kostenlose Grundstücke und andere Vergünstigungen zukommen zu lassen. Solche „Geschenke“ sind ein Verstoß gegen die Landrechte. Soldaten aus Jalta erhielten von Russland einen Aufschub für die Zahlung von Miete für die Nutzung von Stadteigentum und Land für die Dauer ihres Dienstes. Landrechtsverletzungen sind auch mit der allgemeinen Nationalisierung durch das Besatzungsregime verbunden. Im November wurden mehr als 130 Objekte von „ausländischen Staatsbürgern oder unfreundlichen Staaten“ zur Nationalisierung angekündigt.

Deportation, Erschöpfung, Zerstörung
Seit 2022 wurde die Krim zu einer Drehscheibe für deportierte Bürger und zu einem Lagerhaus für geraubtes Eigentum aus den neu besetzten Gebieten. Laut Kateryna Raschewska, Anwältin des Regionalen Zentrums für Menschenrechte, haben die russischen Angreifer seit Beginn der großangelegten Invasion bis Januar 2023 mindestens 6.000 Kinder aus den vorübergehend besetzten Gebieten des ukrainischen Festlandes auf die besetzte Krim deportiert.
Außerdem gab es zuvor nur eine Untersuchungshaftanstalt in der Hauptstadt der Krim, im Frühjahr 2022 wurde aber eine zweite Untersuchungshaftanstalt eröffnet, und zwar, wie einige Juristen glauben, speziell für ukrainische Bürger. Laut Olha Skrypnyk hielt Russland im Januar 2023 mindestens 200 Deportierten aus den Regionen Cherson und Saporischschja in Simferopol fest.
Nach Artikel 11 des Übereinkommens über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der unzulässigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut gilt „die erzwungene Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut, der sich unmittelbar oder mittelbar aus der Besetzung eines Landes durch eine fremde Macht ergeben, als unzulässig“. Und doch nahmen die Russen zwischen Oktober und November 2022 die Ausstellungsstücke aus den beiden größten Museen der Region Cherson mit, nämlich dem Heimatmuseum von Cherson und dem regionalen Oleksij-Schowkunenko-Kunstmuseum Cherson. Mindestens 20.000 Exponate wurden weggenommen. 80 % der Gemälde des Kunstmuseums wurden gestohlen, und Augenzeugen zufolge wurden Exponate aus diesem Museum in das Zentralmuseum von Taurien in Simferopol gebracht.
Der Gipfel der Krim-Plattform schloss sich der Ermittlungen zur Plünderung der Chersoner Museen an. Nach Ansicht von Experten sollte sich die Ukraine um den Ausschluss der Russischen Föderation aus der UNESCO bemühen, da das Vorgehen Russlands den Grundprinzipien der Organisation im Bereich des Kulturgüterschutzes widerspricht.
Außerdem wurde Sewastopol zum Zentrum des Getreideschmuggels aus den vorübergehend besetzten ukrainischen Gebieten. Im Juni 2022 gaben die Russen zu, dass Getreide aus dem besetzten Melitopol für den weiteren Export auf die Krim ging. Nach der Analyse von Satellitenfotos und Frachtdokumenten fand die Financial Times heraus, dass allein im Mai 2022 140.000 Tonnen Getreide vom Getreideterminal in Sewastopol exportiert wurden.

Umweltterrorismus
Russland versucht, die Krim mit allen Mitteln zu erschöpfen, einschließlich der Zerstörung ihrer Natur. Schon vor der großangelegten Invasion haben militärische Übungen und Schießübungen der lokalen Umwelt schwere Schaden zugefügt, ebenso wie russische Infrastrukturprojekte wie die Kertsch-Brücke und die Tawrida-Autobahn. Nach Angaben der vom Kreml kontrollierten Krim-Behörden wurden 100.000 Bäume und 116.000 Sträucher gefällt, nur um die Autobahn zu bauen. Auch in den Gewässern des Schwarzen und des Asowschen Meeres wurden enorme Schäden angerichtet. Seit 2022 starben mehr als 50.000 Delfine im Schwarzen Meer durch russische Aggression: Kriegsschiffe und U-Boote erzeugen starke Schallsignale, die die Delfine aufschrecken. Infolgedessen können Tiere nicht mehr orientieren, sie werden blind und fallen auf Landminen.
Am 6. Juni 2023 sprengte Russland den Damm des Kachowka-Stausees, wodurch die unmittelbare Umgebung überflutet wurde und mehrere Regionen in der Südukraine und auf der Halbinsel Krim unter Süßwasserknappheit litten. Dieser barbarische Akt hat wieder einmal die Brutalität Russlands und seine Vernachlässigung der vorübergehend besetzten Gebiete und ihrer Bevölkerung gezeigt.
“Es gibt keine Wasserversorgung für die Krim, da der Wasserstand im Kachowka-Reservoir bereits viel niedriger ist als für den Krim-Kanal erforderlich. Daher kann mindestens ein Jahr lang kein Wasser auf die Krim fließen”, sagte Ihor Syrota, Generaldirektor von Ukrhydroenergo, dem größten ukrainischen Wasserkraftunternehmen.
Oleksij Danilow, Sekretär des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates der Ukraine, betonte außerdem, dass diese Katastrophe die Entwicklung der Krim “für die nächsten 3-5-7 Jahre aufhalten wird, bis ein neuer Damm gebaut wird”. Er ist der Ansicht, dass die Wiederherstellung der Süßwasserinfrastruktur erst nach der Rückgabe dieses Gebiets möglich sein wird. In der Zwischenzeit versucht die russische Besatzungsverwaltung auf der Krim, die Aufmerksamkeit der Medien auf die Krise zu minimieren, indem sie über deren Auswirkungen auf die Halbinsel schweigt.
Zeichen des Widerstands
Seit Beginn der großangelegten Invasion im Februar 2022 nutzt Russland die Krim als Sprungbrett für den Einmarsch in das ukrainische Festland. Die Krim wurde von einem einst beliebten Ferienort, der für sein subtropisches Klima und seine heilende Umgebung berühmt war, in einen großen Militärstützpunkt verwandelt, der als russischer Kontrollpunkt im Schwarzen Meer diente. Solche eklatanten und empörenden russischen Aktionen gaben dem Widerstand auf der Krim Auftrieb. Derzeit ist es chaotisch und steht eher für Einzelfälle als für eine umfassende Offensive, es symbolisiert jedoch den Druck der Krim-Bevölkerung auf die Russen wegen ihrer massiven Gräueltaten.
Einige Samen des Widerstands wurden bereits gesät, als sich einige Bewegungen bildeten. Unter ihnen ist Yellow Ribbon (2022), das friedliche Proteste, Online-Kundgebungen und Flashmobs organisiert; Publikationen zur Unterstützung der Ukraine veröffentlicht; Daten durchsickern lässt und Ziele für das ukrainische Militär anpasst sowie versucht, Volksabstimmungen in vorübergehend besetzten Regionen zu stören. Mit Stand vom 30. Januar hatte Yellow Ribbon mehr als 1.200 Personen in seinen Reihen. Aktivisten arbeiten täglich in allen großen Städten der Halbinsel, darunter Kertsch, Feodosia, Jalta, Sewastopol und Simferopol.
Im September 2022 begann ein neuer Untergrundwiderstand Crimean Fighting Seagulls zu operieren, indem er Flugblätter auf der Halbinsel aushängte, in denen zur Verbrennung des Militärkommissariats aufgerufen wurde. Im Oktober wurde eine weitere Untergrundbewegung Atesh gegründet. Ihr Motto “Das Trojanische Pferd wurde ausgeführt” vermittelt ihr Ziel, die russische Armee von innen zu vernichten. Tatsächlich haben sie im Februar 2023 2.000 Agenten in die Reihen der russischen Armee und der russischen Garde aufgenommen, wo die Teilnehmer der Bewegung Befehle sabotieren, Informationen durchsickern lassen und militärische Ausrüstung außer Betrieb setzen. Zuvor, im Dezember, setzten die Atesh-Partisanen Kasernen mit russischen Soldaten in Brand. Sie haben auch einen Teil der Eisenbahn auf der Krim in der Nähe des Dorfes Poschtowe in die Luft gesprengt.
All das ist ein klares Zeichen für das Aufkommen eines Guerillakriegs ist. Gleichzeitig begehen einige Personen individuelle Widerstandshandlungen, indem sie sich der Einberufung in die russische Armee entziehen oder Daten an den ukrainischen Chatbot eEnemy senden, pro-ukrainische Graffiti malen sowie antirussische Slogans verbreiten usw.
Seit 2014 sind Krimtataren in die „russische Welt“ eingetaucht. Von Anfang an versucht Russland, die Krim von innen zu regulieren, da der Kreml versteht, dass alles mit den Menschen beginnt. Einige Einheimische wurden durch die Gehirnwäsche russischer Fernsehsender beeinflusst, während andere unter Verfolgung, Belästigungen, Einschüchterung, Folter und Verurteilungen zu leiden hatten. Für die Krimtataren geht es in diesem Krieg um mehr als um die territoriale Integrität der Ukraine, Gerechtigkeit und Frieden; für sie ist dieser Krieg ein entscheidender Moment für ihre gesamte Existenz als Nation.
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