Aussichten für den Sicherheitsschirm der Ukraine: Die neuesten Pakte und Bündnisse

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Staaten sind die einzigen Völkerrechtssubjekte, die über internationale Rechtsfähigkeit verfügen, d.h. diplomatische und konsularische Beziehungen pflegen, Mitglieder internationaler Organisationen sind, Abkommen abschließen, internationale Verantwortung tragen, Staatsbürgerschaft anbieten usw. Als Teilnehmer an den internationalen Beziehungen muss die Ukraine ihre Ziele, Bedürfnisse, Handlungsmöglichkeiten und die ihr zur Verfügung stehenden Mittel verstehen, um in der Welt rational und im Einklang mit ihren eigenen Interessen zu agieren. In den letzten Jahren hat die Ukraine vor dem Hintergrund aufkommender Bedrohungen erkannt, dass es notwendig ist, ihre Sicherheit zu stabilisieren und ihre internationale Position durch die Teilnahme an kollektiven Sicherheits- und Verteidigungsmechanismen zu stärken.

Da die Ukraine keine Garantien von der NATO und keinen „Sicherheitsschirm“ der Europäischen Union genießt, hat sich die ukrainische Diplomatie auf die Schaffung eines regionalen Kooperationsnetzes in Form kleiner Bündnisse konzentriert. So entstanden das Assoziierte Trio (Ukraine-Moldau-Georgien), das Lublin-Dreieck (Ukraine-Polen-Litauen) und der britisch-polnisch-ukrainische trilaterale Pakt. Ähnliche Taktiken wurden von allen neuen EU- und NATO-Mitglieder angewandt. Durch regionale Vereinigungen demonstrierten sie die Möglichkeit der Zusammenarbeit in verschiedenen Bereichen, stärkten die Beziehungen zu den Nachbarn, wurden in der internationalen Umfeld sichtbarer und zeigten, dass sie den größeren Bündnissen mit anderen Staaten beitreten könnten.

Zwischen dem 14. und 16. Januar 2023 führte die Forschungsgruppe „Rating“ eine Meinungsumfrage durch, um die öffentliche Auffassung von dem möglichen Beitritt der Ukraine zu den Sicherheitsbündnissen wie der NATO oder der Bildung einer militärpolitischen Koalition zwischen der Ukraine, Polen und dem Vereinigten Königreich oder zwischen der Ukraine, Polen und Litauen einzuschätzen. Den Umfrageergebnissen zufolge befürworten 85 % der Befragten die Idee, ein militärpolitisches Bündnis zwischen der Ukraine, Polen und dem Vereinigten Königreich zu bilden. Die Gründung eines militärpolitischen Bündnisses zwischen der Ukraine, Polen und Litauen wurde von 80 % der Befragten untertützt. Für den NATO-Beitritt sprachen sich 86 % aus, was den höchsten Prozentsatz an Unterstützung in der Geschichte der Umfrage ausmachte.

Hier analysieren wir die Grundlage für die Zusammenarbeit im Rahmen der oben erwähnten Koalitionen und die Aussichten für die Schaffung von Sicherheitsbündnissen aufgrund ihrer Vereinbarungen sowie für den NATO-Beitritt der Ukraine.

Das Lublin-Dreieck


Die Initiative des Lublin-Dreiecks (L3) wurde auf der Grundlage einer Erklärung gegründet, die beim Treffen der Außenminister Polens, Litauens und der Ukraine am 28. Juli 2020 in Lublin verabschiedet wurde. Das Format bezieht sich auf das historische, politische und kulturelle Erbe der Republik der Drei Nationen — Polen, Litauen und der Rus-Ukraine, anders bekannt als dreieinige Adelsrepublik Polen-Litauen-Ruthenien. Das Lublin-Dreieck ist ein Konzept, das die Zusammenarbeit auf mehreren Ebenen fördert. „Die Gründung des Lublin-Dreiecks wird praktische Bedeutung für die politische Zusammenarbeit, die militärische Zusammenarbeit und sonstige Zusammenarbeit haben“, erklärte der litauische Außenminister bei der Gründungssitzung in Lublin optimistisch.

Im Rahmen des Lublin-Dreiecks wurden die folgenden Bereiche der Zusammenarbeit festgelegt:

  • Regionalpolitik und Sicherheit. Bekämpfung der aggressiven Politik Russlands in der Region und Nutzung der NATO-Kapazitäten zur Gewährleistung der Sicherheit in der Region.
  • Handel, Investitionen und Strukturprojekte zur Gewährleistung des regionalen Zusammenhalts, der Entwicklung und der Sicherheit im weitesten Sinne.
  • Zivilgesellschaft und soziale Kommunikation. Schaffung horizontaler Verbindungen zwischen den Staaten durch die Zivilgesellschaft.

Die institutionelle Dimension der Zusammenarbeit im Rahmen der Initiative umfasst Gipfeltreffen von Staats- und Regierungschefs, Treffen von Parlamentspräsidenten, Außenministern und Verbindungsbeamten.

Die Sicherheitsdimension ist in der Agenda des Lublin-Dreiecks sehr wichtig. Aufgrund ihrer territorialen Nähe zu Russland und ihrer historischen Erfahrung haben Polen, Litauen und die Ukraine eine ähnliche Vorstellung von „traditionellen“ militärischen und politischen Bedrohungen sowie einer neuen Art von Bedrohung in Form von Desinformation. Russland wird in diesen Ländern als die Hauptquelle solcher Bedrohungen angesehen. In diesem Zusammenhang sollte die Initiative als wichtiges Forum für die regionale Zusammenarbeit dienen, um die regionale Stabilität angesichts der aggressiven Politik Russlands aufrechtzuerhalten. Dies liegt im Interesse aller Staaten, zumal die Ukraine aufgrund der klarer Artikulation ihrer Bestrebungen nach NATO-Mitgliedschaft auf die Unterstützung ihrer Nachbarn (Bündnismitglieder) in dieser Hinsicht angewiesen ist.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, der polnische Präsident Andrzej Duda und der litauische Präsident Gitanas Nauseda haben die Lublin-Dreieck-Erklärung zur Unterstützung des Beitritts der Ukraine zur EU und NATO unterzeichnet. Quelle: Holos Ukrajiny

Die Präsidenten der Ukraine, Polens und Litauens, Wolodymyr Selenskyj, Andrzej Duda und Gitanas Nausėda, machten in einer Erklärung vom 11. Januar 2023 auf dem Gipfeltreffen des Lublin-Dreiecks in Lwiw vor allem deutlich, dass Litauen und Polen die NATO-Mitgliedschaft der Ukraine unterstützen und einen Konsens unter den Verbündeten in dieser Frage anstreben.

Das Lublin-Dreieck stellt nicht nur die politische Unterstützung seiner Mitglieder sicher, sondern stärkt auch seine eigene Position im Rahmen des regionalen Umfelds Mittel- und Osteuropas und der NATO-Sicherheitsarchitektur. Es wird leichter sein, bestimmte Lösungen und Entscheidungen durchzusetzen, wenn es einen „gemeinsamen Standpunkt des Lublin-Dreiecks“ oder „Interessen des Lublin-Dreiecks“ gibt, als wenn man auf der Grundlage der Interessen und des Potenzials der einzelnen Staaten „eins zu eins“ spielt.

Bei der militärischen Zusammenarbeit bezieht sich das Litauisch-Polnisch-Ukrainische Brigadekampfteam (nota bene in Lublin stationiert) auf die jahrhundertelange Tradition der militärischen Zusammenarbeit der drei Länder. Diese Kooperation kann sich zu einer umfassenderen Verteidigungsvereinbarung entwickeln, die beispielsweise die Unterstützung im Falle eines Konflikts mit einem Drittland voraussetzt (der Umfang dieser Zusammenarbeit kann von technischer Hilfe bis hin zur begrenzter militärischer Unterstützung reichen).

Es gibt einige erste Ergebnisse einer solchen Zusammenarbeit. Am 11. Januar traf sich Präsident Wolodymyr Selenskyj mit den Staats- und Regierungschefs Polens und Litauens, Andrzej Duda und Gitanas Nauseda, und es wurden wichtige Entscheidungen für die Ukraine und ihre Reaktion auf die russische Aggression getroffen. Andrzej Duda erklärte, dass „im Rahmen der Bildung einer internationalen Koalition eine Kompanie von Leopard-Panzern in die Ukraine verlegt wird. Polen hat in dieser Hinsicht bereits eine Entscheidung getroffen.“ Präsident Selenskyj bedankte sich bei Polen für die Entscheidung, die Panzer zu liefern. Darüber hinaus sagte er, dass Litauen der Ukraine Luftverteidigungs- und Flugabwehrsysteme zur Verfügung stellen werde. Der litauische Staatschef bestätigte dies, gab aber nicht an, um welche Waffen es sich handelte.

Der andauernde Krieg auf ukrainischem Territorium erfordert eine intensive Arbeit des ukrainischen Verteidigungssektors. Von der Zusammenarbeit in diesem Bereich könnten auch die Ukraine und Polen profitieren, denn die beiden Länder sind an der Modernisierung ihrer Streitkräfte interessiert. Das Lublin-Dreieck könnte in ein militärpolitisches Bündnis umgewandelt werden, da die Bündnismitglieder heute mehr denn je durch eine gemeinsame Bedrohung in Gestalt von Russland geeint sind. Die Formel des Dreiecks ist vorerst jedoch eine Konsultationsplattform, die Institutionalisierung der neuen Initiative steht also nicht zur Debatte.

Eine engere Zusammenarbeit im Rahmen des Lublin-Dreiecks könnte in Zukunft durch angespannte Beziehungen behindert werden, die durch unterschiedliche Interessen, gegenseitige Wahrnehmung und Geschichtspolitik bedingt sind. Dies ist am deutlichsten in den polnisch-ukrainischen und polnisch-litauischen Beziehungen erkennbar: In diesem Zusammenhang kann die Initiative zur Verbesserung der bilateralen Beziehungen führen, indem Interessenkonflikte vermindert werden; doch sie kann auch ein Schwachpunkt sein, z.B. wenn in einem Land die Kreise an die macht kommen, die von den Nachbarländern historisch als feindlich betrachtet sind.

Britisch-polnisch-ukrainischer trilateraler Pakt

Der britisch-polnisch-ukrainische trilaterale Pakt ist ein trilaterales Format militärischer und politischer Zusammenarbeit zwischen dem Vereinigten Königreich, Polen und der Ukraine mit dem Ziel, der russischen Bedrohung entgegenzuwirken und die europäische Sicherheit zu fördern. Der Ausbau einer neuen Achse London-Warschau-Kyjiw fällt mit einer deutlichen Verschlechterung der Sicherheitslage an den ukrainischen Grenzen und der aktiven Waffenlieferungen des Vereinigten Königreichs an die Ukraine zusammen. Vertreter der drei neu verbündeten Staaten sagten in einer Erklärung, die Länder hätten „tiefe historische Verbindungen“ und „eine gemeinsame Geschichte der Konfrontation mit Aggressoren, die die Freiheit in Europa bedrohen“. Erklärtes Ziel des Bündnisses ist es, „gemeinsam für Stabilität zu sorgen und die Widerstandsfähigkeit der Ukraine zu stärken, indem die Demokratie entlang der Grenze in Osteuropa ausgebaut wird“.

Quelle: Council on Geostrategy (Rat für Geostrategie)

Die Ukraine initiierte diese trilaterale Zusammenarbeit im Oktober 2021. Am 1. Februar 2022 kündigte der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba ein kleines Bündnis zwischen der Ukraine, dem Vereinigten Königreich und Polen an. Das Bündnis hat seine Arbeit in der Praxis am 17. Februar 2022 aufgenommen, es hat aber noch keinen offiziellen Namen und ist nicht dokumentiert.

Die Zusammenarbeit konzentrierte sich ursprünglich auf die Koordinierung der Unterstützung für die Krim-Plattform, die Kooperation in den Bereichen Cyber- und Energiesicherheit sowie die Stärkung der strategischen Kommunikation. Die Zusammenarbeit innerhalb des Bündnisses könnte auch militärische Unterstützung und Interaktion umfassen. Derzeit ist es jedoch unklar, ob dies die vorrangigen Bereiche der Kooperation sein werden. Dies liegt daran, dass das Vereinigte Königreich der Ukraine direkt und nicht im Rahmen eines Bündnisses Hilfe leistet.

Die britische Außenministerin Liz Truss (links) und der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba bei einer gemeinsamen Pressekonferenz im Anschluss an ihre Gespräche am 17. Februar 2022 in Kyjiw. (Foto: Jefrem Lukazkyj/Pool/AFP via Getty Images)

Der ukrainische Militärexperte Oleh Schdanow vermutet, dass falls die drei Länder als Verbündete eine Einigung erzielen könnten, würde die Verteidigungskooperation wahrscheinlich nicht nur technische Unterstützung, sondern auch die Koordinierung vom Militärpersonal und -kommando und militärische Unterstützung umfassen.

Das Interesse der Ukraine an dieser Art der Zusammenarbeit ist damit zu erklären, dass es einfacher sein würde, sich auf praktische und konkrete Hilfe von den Ländern zu verlassen, die schon bereit sind, Hilfe zu leisten. Das heißt, es wäre keine Zeit benötigt, um einen Konsens zwischen Ländern in größeren Bündnissen wie der Europäischen Union oder der NATO zu erreichen. Polen und das Vereinigte Königreich haben jedoch Gewicht in diesen Bündnissen, und wie im Fall des Lublin-Dreiecks können sie die Position und die Wünsche der Ukraine besser vermitteln, sei es in der EU oder in der NATO.

Oleksij Danilow, Sekretär des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrats der Ukraine, glaubt, dass die Ukraine ein Verteidigungsbündnis mit einer Atommacht bilden muss. In einem Interview vom 15. März gab der Politiker an, dass ein solches Land das Vereinigte Königreich sei.

„Viele internationale Organisationen, die nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet wurden, haben keinen Einfluss und äußern nur ihre Besorgnis. Die Ukraine muss einem neuen Verteidigungsbündnis beitreten, zu dem auch eine Atommacht gehört. Derzeit ist es das Vereinigte Königreich.“ Danilows Worte wurden vom Pressedienst des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrats zitiert.

Durch die Teilnahme an der trilateralen Kooperationsinitiative verfolgt das Vereinigte Königreich eine „Global Britain“-Politik und versucht, eine aktive Rolle in der Welt außerhalb der Europäischen Union zu spielen. Das Konzept des „Global Britain“ wurde erstmals in dem Grundsatzdokument „Global Britain in a Competitive Age“ erwähnt, ein Jahr nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union. In diesem Dokument wurde Russland als Hauptbedrohung für die NATO und das Vereinigte Königreich bezeichnet. Gleichzeitig wurde die Unterstützung für die territoriale Integrität der Ukraine sowie die Bereitschaft, bei dem Ausbau der ukrainischen Streitkräfte zu helfen, betont. Da nicht alle NATO-Staaten bereit sind, der russischen Bedrohung entschlossen entgegenzutreten, setzt Großbritannien weiterhin auf die Taktik kleiner Bündnisse, um in Osteuropa effektiver zu arbeiten.

Der polnische Premierminister Mateusz Morawiecki und der ukrainische Premierminister Denys Schmyhal bei einer Pressekonferenz im Anschluss an ihre Gesprächen am 1. Februar 2022 in Kyjiw. REUTERS/Valentyn Ogirenko

Russland ist auch eine Bedrohung für Polen; der Ausbau der Verteidigungsfähigkeiten der Ukraine wird also Auswirkungen auf die Sicherheit Polens haben. Zudem stärkt Polen durch seine aktive Teilnahme an kleinen Bündnissen seine Position in der EU und der NATO. Laut dem polnischen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki besteht der Hauptvorteil des neuen Kooperationsformats in der Stärkung der regionalen Sicherheit. Der hybride Angriff des Lukaschenko-Regimes an der polnisch-belarussischen Grenze ist für Polen ein zusätzliches Argument. Ein weiteres Sicherheitsproblem für Polen ist die vermutlich dauerhafte Konzentration russischer Truppen in Belarus. Daher ist es notwendig, die Ostgrenze Polens zu festigen, die auch die Außengrenze der Europäischen Union und der NATO ist.

Heutzutage, während der anhaltenden russischen Aggression, leistet das Vereinigte Königreich der Ukraine eine der größten Mengen an Militär- und Sicherheitshilfe, und Polen, das ein natürliches daran interessiert ist, dass die Ukraine ihre Verteidigungsfähigkeiten stärkt, arbeitet mit der Ukraine auf einer breiteren Ebene zusammen, die über den Sicherheitsrahmen hinausgeht. „Dies stellt sie auf eine Stufe mit den Briten, stärkt sie innerhalb der Europäischen Union und zeigt, dass Polen Großbritannien in Sicherheitsaufgaben einbindet, an denen die gesamte EU interessiert ist“, sagt Serhij Herasymtschuk, stellvertretender Direktor des Außenpolitischen Beratungszentrums „Ukrainisches Prisma“.

„Eine vertiefte Zusammenarbeit in diesem Dreieck scheint selbstverständlich zu sein. Es handelt sich letzendlich um zwei Länder, die die Bedrohung durch Russland ernst nehmen und sich in verschiedenem Maße damit auseinandergesetzt haben. Da nicht alle NATO-Staaten bereit sind, der russischen Bedrohung entschlossen entgegenzutreten, setzt Großbritannien weiterhin auf die Taktik kleiner Bündnisse, um in Osteuropa effektiver zu arbeiten. Infolgedessen kann das Dreierbündnis als Kleine Entente fungieren, ähnlich wie Mittel- und Osteuropa einen kleinen Block bildeten und die Ziele der Großen Entente im frühen zwanzigsten Jahrhundert teilten“, sagt Experte Oleksandr Krajew.

Die NATO

Die NATO ist ein militärpolitisches Bündnis mit einer mehr als 70-jährigen Geschichte, dessen Hauptaufgabe darin besteht, den Mitgliedstaaten die gegenseitige Verteidigung durch den Einsatz ziviler und militärischer Mittel zu ermöglichen. Die Organisation dient auch als Forum für die Zusammenarbeit und Konsultation in einer Vielzahl anderer sicherheitsrelevanter Bereiche. Das Bündnis beruht auf dem Nordatlantikvertrag, der am 4. April 1949 in Washington ausgearbeitet wurde und derzeit zeitlich unbeschränkt gilt. Nach dem Zweiten Weltkrieg stellten die Sowjetunion und ihre Satellitenstaaten eine wachsende politische und militärische Bedrohung für die westlichen Länder dar, was den Abschluss des Vertrags verursachte. Die wichtigsten Bestimmungen des Nordatlantikvertrags, eines Gründungsakts der NATO, betreffen die Grundsätze der Selbstverteidigung der Mitgliedstaaten (Artikel 3), die Konsultationen der Bündnispartner in Sicherheitsfragen (Artikel 4), die gegenseitige Unterstützung in einer Situation bewaffneter Aggression, also die sogenannte „kollektive Verteidigung“ (Artikel 5), ihre Anwendung auf die Gesamtheit der Gebiete der alliierten Staaten (Artikel 6) sowie die Bedingungen für die Erweiterung der Organisation (Artikel 10).

Nachdem die Ukraine im Jahr 1991 unabhängig wurde, verfolgte sie zunächst eine blockfreie Außenpolitik, also beitrat keinen Militärbündnissen. Die Ukraine begann ihre Zusammenarbeit mit der NATO im Jahr 1994, doch erst 2002 erklärte sie offiziell ihren Wunsch, dem Bündnis beizutreten.

Der ukrainische Präsident Wiktor Juschtschenko spricht mit dem US-Präsidenten George W. Bush auf der NATO-Gipfelkonferenz in Bukarest, wo eine der umstrittensten Entscheidungen des Bündnisses getroffen wurde. Donnerstag, 3. April 2008. Quelle: Weißes Haus von Eric Draper.

Im Jahr 2008 wurde der Ukraine zusammen mit Georgien ein Aktionsplan für die NATO-Mitgliedschaft versprochen, der zur Mitgliedschaft in der NATO führen sollte. Die politische Opposition innerhalb der Ukraine und der Widerstand Russlands, das die NATO-Erweiterung als Bedrohung ansah, blockierten jedoch die Beitrittsaussichten der Ukraine, und der Plan wurde nie offiziell vorgeschlagen. Korruption, politische Herausforderungen, das Fehlen ausreichender Reformen und darüber hinaus die russische Aggression gegen die Ukraine, die zur Annexion der ukrainischen Gebiete führte, behinderten die Annäherung des Landes an die NATO.

Nichtsdestotrotz erkannte das ukrainische Parlament im Juni 2017 die NATO-Mitgliedschaft als außenpolitisches Ziel des Landes an, und im Februar 2019 wurde das Ziel des Beitritts zur NATO und zur EU in die Verfassung aufgenommen.

Nach dem Ausbruch der russischen Aggression im Jahr 2014, der Annexion der Krim und der Schaffung eines Netzwerks russischer Proxies in den Regionen Donezk und Luhansk reagierte die NATO mit dem Ausbau der Verteidigungsfähigkeiten des Bündnisses in Osteuropa und der Einstellung jeglicher ziviler und militärischer Zusammenarbeit mit Russland. Für Russland erwies sich aber das Fehlen einer starken konsolidierten Reaktion in der Form von Schritten zur aktiven Unterstützung des ukrainischen Widerstands als Signal für die Angemessenheit weiterer Kampagnen gegen die Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine.

Vor der großangelegten russischen Invasion umfasste die Partnerschaft zwischen der Ukraine und der NATO verschiedene Initiativen, zum Beispiel die Verbesserung der Fähigkeiten und der Kompatibilität der Ukraine mit den NATO-Streitkräften, die Erleichterung von Reformen im Verteidigungs- und Sicherheitssektor des Landes und die Unterstützung nichtmilitärischer Aktivitäten wie gemeinsame wissenschaftliche Forschung und öffentliche Diplomatie.

Der Beitritt der Ukraine zur Organisation war jedoch vom Verhandlungstisch. Zu den „Hindernissen“ zählten die Zurückhaltung der ukrainischen Bevölkerung, dem Bündnis beizutreten (laut Rating-Umfragen wuchs die Unterstützung von 19 % im Oktober 2012 auf 47 % im Januar 2016 und 86 % im Jahr 2023 an); die Unmöglichkeit eines Beitritts aufgrund des anhaltenden Konflikts; sowie die Angst, Russland zu provozieren, die die NATO traditionell von einem tieferen Zusammenarbeit mit der Ukraine abhielt.

Nach dem Ausbruch des großangelegten russischen Angriffskriegs im Jahr 2022 konnten sich die NATO-Mitgliedstaaten auf eine Mitgliedschaft der Ukraine im Bündnis nicht einigen, da sie befürchteten, dass dies die Beziehungen zu Russland verschärfen und zu einer direkten Beteiligung der NATO am Krieg führen würde. Sie unterstützten jedoch die Bemühungen der Ukraine, ihre Unabhängigkeit und territoriale Integrität zu verteidigen. Die NATO-Mitgliedstaaten haben der Ukraine seit Beginn der großangelegten Invasion erhebliche milliardenschwere Militärhilfe geleistet und sich verpflichtet, es „so lange wie nötig“ weiterzumachen. So hat die Ukraine bereits eine große Anzahl von Standardwaffensystemen der NATO erhalten, die das ukrainische Militär langfristig deutlich näher an die NATO-Standards bringen werden, da die Waffen aus der Sowjetzeit auf dem Schlachtfeld schnell auslaufen. 

Die erfolgreiche Verteidigung der Ukraine gegen die russische Offensive machte sie tatsächlich zu einem aussichtsreicheren Verbündeten für die NATO. Die Ukraine hat jetzt eine der größten Armeen in Europa, die durch den Kampf gestählt und darauf trainiert ist, moderne westliche Waffen unter realen Kampfbedingungen einzusetzen. Zudem werden die Operationen der ukrainischen Einheiten, die gegen einen viel zahlreicheren Feind ausgeführt wurden, derzeit analysiert, um eine effektivere und schnellere Reaktion der Organisation auf potenzielle Sicherheitsbedrohungen zu ermöglichen. Somit wird der mögliche Beitritt der Ukraine das militärische Potenzial des Bündnisses erheblich stärken.

Präsident Wolodymyr Selenskyj kündigte am 30. September 2022 überraschend einen Antrag zum beschleunigten NATO-Beitritt an. Foto: Präsidialamt der Ukraine.

Bemerkenswert ist, dass Russlands Krieg gegen die Ukraine den Beitritt zweier weiterer Länder zur NATO veranlasste, nämlich Schweden und Finnland. Sie beantragten den Beitritt nach dem vereinfachten Verfahren (ohne Aktionsplan für die Mitgliedschaft), was auch die Ukraine am 30. September 2022 tat. Und obwohl es noch keine explizite Einigung über den Beitritt der Ukraine gibt, besteht nun die Hoffnung, dass die Worte von NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, dass „die Tür zur NATO offensteht“, eine praktische Umsetzung finden werden.

Die aktuelle Situation hat viele der früheren Argumente gegen die Mitgliedschaft der Ukraine in der NATO entkräftet, daher scheinen die Aussichten auf einen Beitritt zum Bündnis nach dem Krieg realer denn je. Die Mitgliedschaft der Ukraine im Bündnis sollte das ewige Problem lösen, dass die Ukraine als Pufferzone zwischen der NATO und Russland dient, sowie Frieden und Wohlstand in Osteuropa gewährleisten, was ohne wirksame Mechanismen zur Eindämmung der aggressiven Haltung feindlicher Länder unmöglich ist.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Politik der Ukraine zur Aufnahme einer sicherheitsrelevanten Zusammenarbeit eine vernünftige Entscheidung ist, die ihr Ansehen auf der internationalen Bühne stärkt. Durch ihre Bereitschaft, ein verlässlicher Verbündeter zu sein und ihrer Verantwortung nachzukommen, erhöht die Ukraine ihre Chancen, gehört und als wertvoller Partner anerkannt zu werden. Das Lublin-Dreieck und der britisch-polnisch-ukrainische trilaterale Pakt tragen bereits zu den Bemühungen der Ukraine bei, ihre Souveränität und territoriale Integrität zu verteidigen, und diese Partnerschaften haben das Potenzial, sich zu einem Sicherheitsbündnis mit starken Garantien zu entwickeln.

Der Wunsch der Ukraine, der NATO beizutreten, muss jedoch noch verwirklicht werden, und der Weg voran bleibt ungewiss. Obwohl das Ziel der Ukraine, NATO-Mitglied zu werden, in Zukunft realisiert werden könnte, ist es auf verschiedenen Faktoren angewiesen, darunter eine totale Niederlage Russlands. Trotz dieser Hindernisse sind die Bemühungen der Ukraine zur Förderung der Sicherheitszusammenarbeit zu begrüßen und können allen Akteuren zugutekommen.

Jelysaweta Wyschnewska, Gastwissenschaftlerin; Alina Horbenko, Junior-Analystin